Zeitzeugin Eva Weyl spricht am Lise-Meitner-Gymnasium über den Holocaust
In der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums sitzen 150 Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Geldern und des Gymnasiums und lauschen gebannt dem Vortrag von Eva Weyl, die 90 Minuten lang über den Schrecken des Holocausts und über ihre ganz persönliche Geschichte als Überlebende des KZ Westerbork spricht.
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Bereits zum achten Mal ist die 84jährige Eva Weyl zu Gast in Geldern und nur einen Tag nach dem Internationalen Holocaust-Gedenktag trifft sie auf Schülerinnen und Schüler, die sich in Projekten oder im Geschichts- und Politikunterricht intensiv mit den Schrecken des Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben.
Mit Hilfe von persönlichen Fotos und geschichtlichen Dokumenten erzählt Eva Weyl, die als eine der wenigen niederländischen Juden den Holocaust überlebte, ihre ergreifende Geschichte: Auf der Flucht vor den Nazis verlässt ihre Familie Kleve, wo sie ein großes Kaufhaus gezwungenermaßen aufgeben muss. Die Emigration in die vermeintlich sicheren Niederlande wird zum Albtraum. Mit 5 Jahren erlebt die kleine Eva den Beginn des zweiten Weltkrieges. Im Mai 1940 besetzt dann die deutsche Wehrmacht die Niederlande. Für Familie Weyl steht die Deportation in das Konzentrationslager Westerbork an, verbunden mit vielen Entbehrungen und dem Verlust von Hab und Gut. Dort wurde nach den Beschlüssen der Wannsee-Konferenz einmal pro Woche eine Liste mit ca. 1000 Insassen des Lagers zusammengestellt, die anschließend mit einem Zug in die Vernichtungslager nach Auschwitz oder Sobibor transportiert wurden. Auch Anne Frank und Leni Valk standen auf diesen Listen, die einem Todesurteil gleichkamen, ohne dass die betroffenen Lagerinsassen dies ahnten. Eva Weyl und ihr Eltern entkamen diesem grausamen Schicksal mit viel Glück und erlebten im April 1945 die Befreiung des Lagers durch kanadische Soldaten.
Immer wieder unterbricht Frau Weyl, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, über ihre Lebensgeschichte Menschen mit den unbeschreiblichen Geschehnissen des Dritten Reichs zu konfrontieren, ihren Vortrag und ermuntert die Schülerinnen und Schüler: „Googelt doch mal! Ihr seid so viel im Internet unterwegs. Nutzt die neuen Medien, um euch über den Holocaust zu informieren, um zu erfahren, was für schreckliche Dinge passiert sind.“
Die Bundesverdienstkreuzträgerin weist eindringlich auf das erschreckende Alleinstellungsmerkmal des Naziregimes hin: Das „industrielle Töten von Menschen“! Aber es geht ihr noch um eine andere, wichtige Botschaft, wenn sie zu den Jugendlichen spricht: „Ihr seid nicht verantwortlich für die Leiden im Nationalsozialismus und für den Holocaust, aber wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sich so etwas nie mehr wiederholt!“
Und so berichtet sie von ihren ganz persönlichen Erfahrungen, von Versöhnung und Freundschaft: In ihrer Jugendzeit habe sie sich nach dem Krieg bei einem Freiburg-Besuch in den Sohn eines stadtbekannten Nazis verliebt und schon damals nicht verstanden, wieso dieser für die Verbrechen seines Vaters verantwortlich gemacht und ihr der Umgang mit ihm verboten werden sollte. Eine noch eindrucksvollere Geschichte aus jüngeren Tagen folgt: Zu einer Schülergruppe, vor der sie sprach, gehörte der Urenkel des Lagerkommandanten von Westerbork, Albert Gemmeker, einem zynischen Schreibtischtäter, welcher von Westerbork aus die Transporte nach Osten in den sicheren Tod organisierte. Über den Urenkel nimmt sie Kontakt zur Familie von Gemmeker auf. Sie trifft dessen Tochter und führt lange, versöhnliche Gespräche. Gemmekers Enkelin, eine Grundschullehrerin am Niederrhein, geht sogar zusammen mit ihr auf Vortragsreise und schildert das schwierige Verhältnis zum Großvater und die persönliche Betroffenheit über dessen Taten. So lebt Eva Weyl immer wieder Versöhnung vor und beeindruckt die Schülerinnen und Schüler tief.
Nach ihren Ausführungen ist große Betroffenheit zu spüren. Die Jugendlichen nutzen allerdings auch die Gelegenheit Frau Weyl ihre Fragen zu stellen, die allesamt bereitwillig beantwortet werden. Dabei stehen viele Schülerinnen und Schüler offensichtlich unter dem Eindruck der aktuellen rechtspopulistischen Tendenzen unserer Zeit und sorgen sich um die Zukunft der deutschen Demokratie, verbinden erlebte Geschichte mit politischer und gesellschaftlicher Gegenwart. Eva Weyl spricht ihnen mit offenen, deutlichen Worten Mut zu und ermuntert zum Engagement gegen Vorurteile, Rassismus, Antisemitismus und jeglicher Form von Ausgrenzung. „Ich mache euch zu meinen Zweitzeugen!“, ruft sie den Schülerinnen und Schülern am Ende ihres Besuches zu. „Setzt euch gemeinsam mit mir dafür ein, dass sich Auschwitz niemals wiederhole.“
Sie hat schon lange ihren Frieden mit Deutschland gemacht und kommt inzwischen gerne und regelmäßig, um vor Schulklassen zu sprechen. „Ich bin immer sehr berührt, wenn ich die Gelegenheit habe in meiner alten Heimat zu sprechen“, so Frau Weyl, die inzwischen nicht zuletzt aufgrund ihrer vielen positiven Begegnungen mit Schülerinnen, Schülern, Lehrerinnen und Lehrern an Schulen in Nordrhein-Westfalen die deutsche Staatsbürgerschaft wieder angenommen hat.
Und besonders schön ist dann das Ende der Veranstaltung zu beobachten: Einzelne Schülerinnen und Schüler trauen sich auf die Bühne der Aula um in kleiner Runde noch persönliche Fragen zu stellen, um ein Selfie zu bitten und um von ihrem Engagement gegen das Vergessen zu berichten. Eva Weyl nimmt sich Zeit für jeden Einzelnen und macht den Jugendlichen Komplimente für ihr Engagement: „Ihr seid meine Hoffnung und meine Belohnung an diesem Tag!“